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Sucht im Alter – der Umgang mit einem Tabuthema

[Chemnitz] – 16.09.2019   Er lebt schon seit einigen Jahren allein. Die Kinder sind längst raus und haben ihr eigenes Leben. Seine Frau ist viel zu früh verstorben, dabei hatten sie noch so viel vor. Reisen wollten sie und ihr Heim genießen, dass sie fast abbezahlt haben. Aber es kam anders. Da er schon immer einem guten Tropfen nicht abgeneigt war und es in seinem Beruf immer wieder Gelegenheiten zum Anstoßen gab, war der „Tröster“ aus der Flasche über den erlittenen Verlust naheliegend. Wenn er bisher vielleicht hin und wieder etwas zu viel trank, geschah das nun regelmäßig. Kaum jemand nahm die Veränderungen wahr, zumal man ihn ja nur noch selten sah. Erst als er sich äußerlich etwas heruntergekommen, unrasiert und mit ungepflegten Haar nun fast täglich seinen Beutel Bierflaschen heimtrug munkelten die Nachbarn, dass er offensichtlich ein Problem hat – ein Alkoholproblem.

So oder so ähnlich gehen viele Geschichten von älteren Menschen mit einem Suchtproblem.
Alkoholismus im Alter ist zwar kein Randproblem, liegt aber dennoch weithin außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, auch weil älteren Menschen kein Verlust des Arbeitsplatzes mehr droht. Als Konsument sind sie jedoch immer noch interessant und das nicht nur für Anbieter von Kreuzfahrten. Allerdings haben die Familienangehörigen in der Regel unter dem Alkoholproblem besonders zu leiden. Nicht umsonst gehört es zu den gut gehüteten Geheimnissen in vielen Familien.

Warum wird Alkohol im Alter zum Problem?
Alterstypische Auslöser sind in der Regel die Übergänge und kritische Lebensereignisse, wie Verrentung, Umzug, Partnerverlust, chronische Schmerzen oder psychosomatische Erkrankungen. Zudem können verordnete Medikamente mit Suchtpotential vor allem bei Schmerzpatienten in eine Abhängigkeit führen.

Worin unterscheidet sich eine Suchterkrankung im Alter von der in jüngeren Jahren?
Wenngleich die Symptome einer Suchterkrankung aller Betroffenen Übereinstimmungen zeigen, gibt es im fortgeschrittenen Alter gravierende Unterschiede. Physiologisch gesehen führt die verminderte Suchtmitteltoleranz aufgrund des verlangsamten Stoffwechsels bei älteren Menschen zu signifikant höherem Blutalkohol, was wiederum die Lebenszeit deutlich verkürzen kann.

Was also tun, wenn sich im Alter ein Alkoholproblem einstellt?
Die üblichen Hilfesysteme wie Suchtberatungsstellen sind mit ihren Konzepten und Angeboten eher auf die jüngere Bevölkerung orientiert. Wie die Suchterkrankung selbst unterscheidet sich im Alter auch die Beratung und Behandlung von denen jüngerer Menschen. In der zweiten und dritten Lebenshälfte geht es auch nicht mehr um Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Vielmehr geht es um spezifische Risiken im Alter, die auch andere Anknüpfungspunkte für Prävention und Therapie notwendig machen.

Im Unterschied zu Jüngeren ist das Ziel bei älteren Menschen nicht auch unbedingt die radikale Verhaltensänderung im Sinne absoluter Abstinenz. Abstinenz ist bei Hochbetagten und Pflegebedürftigen unter Umständen sogar mit starkem Schmerzgeschehen verbunden. Es müssen auch nicht immer Diagnosen gestellt oder langwierige Therapien verordnet werden. Vielmehr geht es um die Senkung gesundheitlicher Risiken durch eine Verminderung des Alkoholkonsums und eine Verbesserung der Lebensqualität, wenngleich mitunter nur bedingt oder auf verhältnismäßig niedrigerem Niveau. Dabei ist  individuell zu klären, ob und wie sich das Suchtverhalten des Betroffenen auf seine Gesundheit und Lebensqualität auswirkt. Das erfordert Einfühlungsvermögen und Wertschätzung gegenüber den Betroffenen.

Wie sieht die Hilfe für ältere Menschen mit Alkoholproblemen aus?
Die Hilfe geschieht in der Regel in Kooperation mit dem Seniorensozialdienst des Sozialamtes, den gesetzlichen Betreuern und begleitenden Diensten, sowie in Zusammenarbeit mit Angehörigen oder Pflegepersonen, das Einverständnis des Betroffenen vorausgesetzt.

In der Beratung werden zunächst die psychosoziale Situation und die Kontextfaktoren geklärt. In einem zweiten Schritt wird versucht die verbliebenen Ressourcen zu aktivieren, um einen Zugewinn an Lebensqualität zu erreichen. Ein dritter Schritt ist die Rückfallprophylaxe.

Die Beratung erfolgt  überwiegend im Hausbesuch und wird kombiniert mit offenen Angeboten wie z.B. der Besuch von Tagestreffs, was zudem die soziale Kontaktaufnahme anregt.

Wo kann man sich hinwenden?
Die Suchtberatungs- und Behandlungsstelle (SBB) des Advent-Wohlfahrtswerkes in Chemnitz, Hans-Sachs-Str. 9 (www.suchtberatung-chemnitz.de) ist z.B. ein Anlaufpunkt für ältere Menschen mit einem Suchtproblem. Dort hat man sich mit der Teilnahme am Bundesmodell „Sucht im Alter“ dieser besonderen Aufgabe gewidmet und bietet gezielt Beratung für ältere Menschen an.

Die Suchttherapeuten sind ausgebildet und auch erfahren im Umgang mit suchtkranken älteren Menschen. Man kann sich telefonisch oder in einem Erstgespräch für eine fachliche Suchtberatung anmelden. Alles Weitere ergibt sich dann daraus.

Nicht nur Suchtabhängige, auch Fachkräfte in der Sozialarbeit oder aus der Pflege sowie aus anderen sozialen Berufen können sich jederzeit im konkreten Einzelfall zu Suchtproblemen im Alter an die SBB des Advent-Wohlfahrtswerkes in Chemnitz wenden. Die SBB bietet Informationen, fachliche Beratung und die Möglichkeit der konkreten Einzelfallhilfe an.

Eine Kontaktaufnahme lohnt sich in jedem Fall.